• Blick vom Ölberg auf Jerusalem. Photo Credit: C4I Austria.
Bibellehre

Jesus auf dem Ölberg

Pfr. Jaap de Vreugd - 29. Juni 2020

 Apostelgeschichte 1,6-8

Wie gerne wäre ich dort gewesen, in diesen vierzig Tagen zwischen Ostern und Himmelfahrt. Was für eine besondere Zeit muss das für die Jünger gewesen sein. Vierzig Tage durften sie mit dem lebenden, auferstandenen HERRN zusammen sein. Ihr Gesprächsthema? Er redete mit ihnen von dem, was mit dem Reich Gottes im Zusammenhang steht. Da kommt auf einmal die Frage: „Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?“

Mehrere christliche Ausleger fanden dies seit eh und je eine ganz dumme, unpassende Frage. Die Jünger hätten immer noch nichts verstanden, meinten sie. In ihrem Denken wären sie noch viel zu jüdisch. Sie fragten nach der Wiederherstellung des Königtums. Laut diesen Auslegern gehe es ihnen nur um Israel, um Jerusalem, um die Wiederherstellung des Hauses Davids. Sie hätten noch keine Ahnung davon, dass es sich um ein ewiges, himmlisches, geistliches Reich handele. Nicht um ein irdisches Reich um Israel herum mit Jerusalem im Zentrum. Calvin sagte sogar, diese Frage enthalte genauso viele Irrtümer als Worte.

Erwartung I

Aber kann das wirklich wahr sein? War Jesu Unterweisung vom Reich Gottes in diesen vierzig Tagen vergeblich? War Jesus etwa solch ein schlechter Lehrer, dass das einzige Ergebnis von vierzig Tagen eine schlechte Frage sei? Kann man sich vorstellen, dass sie überhaupt nichts von Jesus verstanden hätten? Ich glaube man sollte eher sagen, dass all diese christlichen Ausleger sich geirrt haben! Die Frage der Jünger trifft genau den Punkt. Es geht in der Bibel um die Offenbarung der Herrschaft Gottes und Seines Messias, es geht um das Reich. Das ist die Erwartung der Propheten, wovon die Psalmen singen. Die Jünger haben in Jesus den Messias entdeckt. Jetzt noch mehr als vor seiner Auferstehung. Vierzig Tage lang hat Jesus sich ihnen lebendig gezeigt mit vielen untrüglichen Beweisen. Er hat selbst nachdrücklich das Reich Gottes zur Sprache gebracht. Nein, es war überhaupt keine dumme, unpassende Frage. Es ist eine Frage voller Spannung, voller Erwartung: HERR, ist es denn jetzt endlich soweit? Kommt denn jetzt das Reich, von dem Mose und die Propheten redeten? Vielleicht klingt in der Frage der Jünger auch ein wenig Erstaunen mit. Erstaunen darüber, dass die Welt trotz Kreuz und Auferstehung Jesu einfach nur so weitermacht! Denn genau betrachtet, ist das doch eigentlich erschütternd! Es stand ein Kreuz auf Golgatha. Dort erklang das machtvolle Wort: Es ist vollbracht! Und nach der Kreuzigung kam die Auferstehung. Der HERR ist wahrhaftig auferstanden! Was soll denn jetzt noch mehr kommen, nachdem der HERR nicht nur gestorben sondern auch auferstanden ist? Warum kommt das Reich Gottes noch nicht?

Erwartung II

Nein, das ist keine dumme Frage. Ganz im Gegenteil – es ist eine durch Glaubenserwartung geprägte Frage. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr kann ich das Gewicht und die Sehnsucht dieser Frage mitempfinden, denn die Frage drängt sich buchstäblich auf. Der HERR hat gesiegt. Es ist vollbracht. Wir aber leben in einer Welt totaler Missachtung! Nach zweitausend Jahren wird die Beklemmung nur noch größer. Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe. Wir hören von Kriegen und politischen Spannungen, Gewalt und Hass, Hunger, von Flüchtlingen und Asylanten, Verfolgung, Sünde und Ungerechtigkeit usw. Außerdem treibt ein verheerendes Virus weltweit sein Unwesen. Wo bleibt denn da das Reich? Wie lange noch, HERR? Die Jünger bringen mit ihrer Frage das Heimweh zum Ausdruck, womit das ganze Volk Gottes erfüllt ist, seit der HERR seine prophetischen Verheißungen gab.

Gottes Plan

Wenn der HERR beim Kommen des Messias seine Herrschaft gründet, werden alle wunderbaren Verheißungen erfüllt. Eben deshalb die Frage mit Augen und Herzen voller Spannung und Erwartung: HERR, geschieht es denn jetzt, nach Kreuz und Auferstehung? Ist jetzt der richtige Moment des messianischen Reiches da? Man achte bitte darauf, dass Jesus auch diese Frage gar nicht als dumm abtut und sie ablehnt. Er sagt nur: Die Zeit ist noch nicht da. Zeit und Gelegenheit weiß nur der Vater. Der HERR bestimmt den Moment vom Durchbruch des Reichs. Jesus fügt hinzu: „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde“. Deshalb ist nach der Auferstehung des Herrn Jesus der Moment der Wiederherstellung des Reiches für Israel noch nicht angebrochen. Gottes Plan musste noch weiter vollendet werden. Alle Geschlechter der Erde werden am Segen Abrahams beteiligt sein. Sein Heil gilt der Welt.

Vollendung

Eben in diesen weltweiten Plan wird von Gott der Kreis der Jünger eingeschaltet. Ihn setzt Gott zum Erreichen seines Zieles ein: Zeugnis Seines Namens und Seiner Taten bis an die Enden der Erde – bis die Erde erfüllt ist mit dem Kennen Seines Namens. Dazu muss es zuerst noch Pfingsten werden. So verstehen wir, weshalb Jesus als Reaktion auf die dringende Frage der Jünger sagt: Noch nicht; seid noch geduldig. Die Bewegung Gottes muss von Jerusalem aus noch bis an die Enden der Erde gehen. Wenn dieses Werk getan ist, kommt das Reich. Dann kommt der Messias wieder. Zur Vollendung dessen, was vollbracht wurde.

Die Engel sagen es den Jüngern: „Was steht ihr und seht hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird so kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen in den Himmel.“  Er kommt, wenn Gottes weltweiter Plan der Vollendung naht. Wenn das Evangelium über die Welt gegangen ist. Dann stellt er für Israel auch das Reich wieder her. Dann kehrt er zurück auf den Ölberg und zieht in die Heilige Stadt ein. Dann wird wahr, was der Engel schon vor Jesu Geburt der Maria gesagt hat: „Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und der Herr, Gott, wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird über das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit, und seines Königtums wird kein Ende sein.“ Dann werden all diese wunderbaren prophetischen Worte vom Reich Gottes wahr.

Geduld

Die Jünger wissen zu dieser Zeit noch nicht, dass die Geduld der Gläubigen noch viele Jahrhunderte lang auf die Probe gestellt werden wird. Wir sind jetzt zweitausend Jahre weiter. Das hängt zusammen mit der Geduld, der Langmut Gottes, der nicht möchte, dass manche verloren gehen, sondern dass alle zur Erkenntnis der WAHRHEIT kommen. Unterdessen sind in unseren Tagen die Zeichen Gottes da. Voll und ganz. Israel kehrt zurück. Es wird wiederhergestellt.

Weltweit wurde das Evangelium verkündet. Gott führt seinen Plan aus! So dürfen wir in einer zerschundenen, verwirrten Welt erwartungsvoll das Kommen des Messias herbeisehnen.

 

N a c h s a t z :

Der Ölberg

Der Ölberg liegt östlich der Stadt Davids in Jerusalem, an der gegenüberliegenden Seite eines Tales, durch das der Kidron fließt. Der Ölberg wird im Alten Testament nur zweimal namentlich erwähnt. Das erste Mal finden wir in 2. Samuel 15,30. Dort lesen wir, wie König David auf seiner Flucht in die Wüste den Berg weinend besteigt. Er floh, weil sein Sohn Absalom sich selbst zum König Israels ausgerufen hatte und auf dem Weg zur Stadt war. König David wollte ein Blutvergießen in der Stadt verhindern. Deshalb zog er fort, über den Ölberg in die Wüste. Die andere Erwähnung des Ölbergs steht in Sacharja beim Kommen des Messias. Dort werden seine Füße stehen. Von dieser Zeit hat auch Daniel geweissagt, dass die Toten wieder auferstehen werden. Deshalb wurden im Laufe der Jahrhunderte Tausende von Juden auf dem Ölberg beerdigt, denn sie glauben, dass sie als erste auferstehen werden, um ihren Messias zu begrüßen.

Hoffnung nach Leiden

Es ist daher bemerkenswert, dass im Neuen Testament der Ölberg Schauplatz von drei Ereignissen ist, die damit zusammenhängen. Hier hält der Herr Jesus seine Predigt von den letzten Dingen (Matthäus 24). Hier, wo David geweint hat, erlebt er das schwerste Leiden, das seiner Kreuzigung voranging. Hier fährt er zum Himmel. So stellt der Ölberg eine Botschaft der Hoffnung und des Leidens dar.

[Übersetzung: Heinz Volkert]

 

Über den Autor